Im April 2000 habe ich mich als Übersetzerin und Dolmetscherin selbstständig gemacht. Vor zehn Jahren! Time flies when you’re having fun!
Vorhin habe ich einem davon erzählt, den ich noch aus Schulzeiten kenne. Wir haben uns zufällig wieder getroffen und sind spontan Kaffeetrinken gegangen. Er arbeitet bei einer größeren Firma und ist dort momentan der Dings, ich hab vergessen, was genau; vielleicht hat er es auch gar nicht gesagt. Bereits in der Schule zeichnete sich bei ihm ein Hang zum Ranzen ab, und als wir so da saßen, faltete er die Hände über demselben und sprach, er sei sich immer sicherer, dass es im Beruf eigentlich genauso funktioniere wie im wirklichen Leben: Gewusst wie und im richtigen Moment blöffen, und dann lachte er knarzend.
Daraufhin habe ich ihm von meinem Riesenerfolg berichtet. Immerhin habe ich zehn interessante und wechselvolle Jahre mit dem Übersetzen der unterschiedlichsten Texte, Bücher und Gespräche verbracht. Ausschreibungen, Gerichtsurteile, Vernehmungsprotokolle. Reiseführer. Verkostungen. Führungen durch Ölmühlen, Weingüter und Neapels unterirdische Stadt. Nicht zu vergessen die ungezählten Koch-, Bastel-, Back- und Etceterabücher. Katzenbücher. Kinderbücher. Esoterische Bücher. Ich bin mit Wandermeuten eines Reiseveranstalters über italienische Wanderwege und mit italienischen Industriellen über deutsche Messen gezogen. Ach ja, und ungezählte Produktinformationen hab ich bearbeitet, von Käse und Wein über Haarpflegemittel und schicken Autos bis hin zu Sojaprodukten gegen Wechseljahresbeschwerden war einiges dabei.
Mein Schulkamerad schaute säuerlich drein, zog schließlich die Augenbrauen hoch und die Mundwinkel runter und nickte einmal.
So viel Bewunderung wirkte beflügelnd. Ich könne mittlerweile theoretisch Aquarellmalen, Papierflieger und Baumhäuser bauen und sei mit dem Kopf in China, Tschechien, Griechenland, Spanien, in der Apollo 13, auf der Titanic, sowie – jetzt kommt‘s – in allen wichtigen Gräbern Ägyptens und mit Buzz Aldrin auf dem Mond gewesen.
Nun wiegte er bedächtig sein langsam erglatzendes Haupt.
Plötzlich meinte er, viel mehr als das alles würde ihn interessieren, ob ich da angekommen sei, wo ich anfangs hingewollt hätte? Inhaltlich, finanziell, und überhaupt? Was ich in den zehn Jahren eigentlich geschafft hätte?
Ich blies die Luft wieder aus. Tja, was habe ich in den zehn Jahren eigentlich geschafft? Wo hatte ich hingewollt, wo bin ich?
Damals war eigentlich gar nichts Genaues geplant für in zehn Jahren. Schließlich weiß ich ja vorher nicht, was mir begegnet und gefällt. Was sich realisieren lässt und was sich sträubt, wer und was zu mir passt. Was ich eigentlich wirklich kann und welche Wünsche ich besser auf den Mond schicken sollte, wenn mir mein Seelenfrieden lieb ist.
Ob es mir reiche, setzte er noch eins drauf, Reiseführer zu übersetzen, anstatt selbst zu reisen? Auf Deutsch wiederzukäuen, dass Sojafutter gut ist gegen Wechseljahresbeschwerden? Und überhaupt, wie sei es denn nun eigentlich mit den Honoraren?
Zufrieden genoss er mein betretenes Schweigen.
Seine Fragen sind zugegebenerweise berechtigt. Ich hätte genauer planen und zielstrebiger sein können, mich weniger überraschen lassen. Im übertragenden Sinne mehr Sojaprodukte essen, um Wechseljahresbeschwerden vorzubeugen, aber ich mag diese fade, schnittfeste, völlig harmlose Masse nun mal nicht, die weder geschmacklich noch konsistenzmäßig irgendwie an den Kampfgeist appelliert. Und schließlich ist gar nicht erwiesen, ob es überhaupt stimmt. Also ob Sojaprodukte und eiserne Lebensplanung wirklich den Wechseljahresbeschwerden vorbeugen oder ob alles Blöff ist.
Jeder Mensch hat seinen eigenen Weg, der beim Gehen entsteht, sagte er begütigend in die Stille und schaute weise. Das hat er bestimmt irgendwo auf einem Klo gelesen, so was fällt dem nie und nimmer alleine ein, und da hab ich plötzlich gewusst, was los ist: Neidisch ist er! Neidisch auf meine zehn Wechseljahre, so wie ich auf seinen Posten als Dings vielleicht neidisch wäre, wenn ich mir gemerkt hätte, was er ist und wenn ich nicht so, wie es jetzt ist, höchst zufrieden wäre, zumindest meistens, also oft. Es zwickt ihn, dass ich so viel Abwechslung habe, mit Buzz Aldrin in der Mondlandefähre saß und alle wichtigen Pharaonengräber kenne, während er höchstens mal mit seiner Chefin im Fahrstuhl ist, und sie soll keine Nofretete sein.
Nein, mich zwickt kein Neid, denn es waren zehn Jahre voller … also mit ungeheuer viel … zehn Jahre, die … na, eben unterm Strich zehn prima Jahre! Ich danke Ihnen und Euch – meinen Auftraggeberinnen und Auftraggebern, Agenturen und Verlagen, und dann meinen Rat und Mut zusprechenden und anderweitig unterstützenden hilfreichen guten Geistern, den freundlichen Menschen bei Behörden, Bank, Berufsverband, Krankenkasse und wo auch immer – und sehe erwartungsfroh nach vorn!